Der Computerfreak
Der Computerfreak
-----------------
Hier will ich von der Spezies der Computerfreaks berichten, deren Sitten
sehr eigenartig sind (mit Erklaerung aller Fachausdruecke).
Wer von den Computerfreaks kein eigenes System laufen hat, wer nicht
tief in der Hardware wuehlt, gilt bei ihnen wenig. (Hardware ist das, was
beim Runterfallen klappert, Software das, wovon man logisch erklaeren kann,
warum es nicht funktioniert. Nicht zu verwechseln mit dem Problem, heraus-
zufinden, warum man es nicht zum Funktionieren bringt, diese Frage ist
ungeloest.)
Sie sammeln meist abgekupferte (ein Ausdruck, den ich hier nicht naeher
erlaeutern will) Software, aber den meisten bedeutet die "hoehere Software"
eigentlich wenig. Ihre Domaene sind die Bits und Bytes, die Controller und
schnellen RAMs. Viele wollen grosse Geschaefte machen, wozu sie sich persoen-
lich herausgefordert fuehlen. In der Regel sind sie Einzelkaempfer, wiewohl
sie auf eine gewisse geheimbuendlerische Art zusammenhalten. (Bits und Bytes
sind das, was zwischen Hard- und Software steht, Controller und RAMs unter-
scheiden sich nicht: schwarze Kaestchen mit einer geradzahligen Anzahl in
Doppelreihe angeordneter spitzer Drahtfuesschen.)
SO LEBEN SIE
Manchmal hegen sie puritanische Neigungen, zum Beispiel hinsichtlich
hoechstqualifizierter Disketten, deren Label (Etikett) sie, wenn ueberhaupt,
nur zart in jungfraeulicher Bleistiftschrift entweihen. Ich nehme an, Sie
wissen, was ein Bleistift ist. Disketten sind schwarze Scheiben, auf denen
angeblich etwas in magnetischer Schrift geschrieben ist, was aber unsicht-
bar und aus unbekannten Gruenden auch fuer den Computer oft nicht zu lesen
ist. Wenn man sie knickt, auf Magnete oder in die Sonne legt, wird man ohne
Kommentar umgebracht.
Die Beziehung des Computerfreaks zum anderen Geschlecht wirft einige
Fragen auf, vergleichbares gibt es hoechstens bei HiFi-Enthusiasten, die um
groessere Boxen kaempfen und das Recht, sie nicht hinter dem Vorhang verstek-
ken zu muessen. Doch es ist anders, sie breiten ungehindert ihre Platinen
und ICs in der Wohnung aus - weiss der Teufel, warum Eva das zulaesst. Verste-
hen tut sie nichts davon. Vielleicht aber gerade deshalb, denn die Frauen
klagen die Maenner wegen allerlei unvernuenftiger Dinge an, zum Beispiel weil
sie Kriege fuehren; verhindern tun sie jedoch nur das, was sie verstehen.
Jedenfalls sind Leute, die Annoncen wie "wegen Heirat Computersystem zu
verkaufen" aufgeben keine ganzen Maenner.
Wenn Computerfreaks zusammenkommen, dann nicht ohne meterlange, gefal-
tete Listings (das sind Papierfahnen, die von graesslich ratternden Maschi-
nen, sog. Druckern oder einer elektrischen Schreibmaschine ausgespien wer-
den, welche am Computer haengen. Das ist uebrigens der Grund, warum der Rest
der Familie nachts nicht schlafen kann und diese dunklen Ringe unter den Au-
gen hat - abgesehen davon, dass Computerfreaks zwischen abends 23 und 2 Uhr
morgens auffallend viel Telefonanrufe oder Besuche erhalten, falls sie
nicht um diese Zeit beim Stammtisch sind.) Sie haben auch grosse Kisten bei
sich, in denen sie sich Buecher, Geraete oder vor allem irgendwelche Platinen
mitbringen. Sie lieben es ausserordentlich, sich etwas Gedrucktes mitzubrin-
gen. (Platinen, auch "gedruckte Schaltungen" genannt, sind halt Brettln mit
Leiterbahnen drauf, auf ihnen befinden sich die schon beschriebenen Kaefer,
wobei vor allem wichtig ist, wie duenn und eng beieinander die Leiterbahnen
(die kupfernen Striche) sind. Das nennt man Packungsdichte und es ist sehr
wesentlich, weil der Computer daraus besteht.) Dabei wechseln innerhalb
eines Clubs oder Stammtischs die Standards - frueher fachsimpelte man ueber
Cassetteninterfaces (da hoert man sehr schrilles Zirpen, aehnlich wie bei
einer Grille, die gerade die Schallmauer durchbricht), dann ueber kleine,
spaeter ueber grosse Diskettenlaufwerke. (Sie muessen sich die Masse 5 1/4 und
3 1/2 Zoll gut einpraegen, wenn Sie mitreden wollen.) In die Laufwerke schiebt
man die schwarzen Scheiben und sucht die Ursache dafuer, warum man sie nicht
mehr lesen kann.
DAS TREIBT SIE AN
Typischerweise werden grosse Projekte ins Auge gefasst, die nie realisiert
werden (sowas duerfen Sie aber nicht laut sagen!), dennoch gibt es einen
eindeutigen und ueberraschenden Fortschritt, denn diese Projekte bauen ja
auf den frueheren Projekten auf. Man kann das nicht verstehen, wenn man
nicht einsieht, dass in der Computerei vor allem der abstrakte Entwurf
zaehlt. Die Philosophie der Computerfreaks ist in gewisser Weise durch den
Satz zu charakterisieren: Nichts ist langweiliger als ein Programm, das
endlich fehlerfrei laeuft. Das muss wohl auch auf die Hardware zutreffen, sie
haben ein sehr grosses Talent, diesen traurigen Zustand nie eintreffen zu
lassen, aber sie glauben, dass sie permanent mit aller Kraft versuchen,
diese Situation zu ueberwinden.
Sie unterhalten sich in einer Weise, dass ein gewoehnlicher Sterblicher
bei jedem zweiten Wort nicht weiss, wo er es nachschlagen koennte - es ist
auch nicht sicher, dass sie sich gegenseitig verstehen. Wenn drei sich un-
terhalten, kann mindestens einer nicht ganz folgen, weil er sich mit einem
anderen Spezialgebiet befasst.
Mit grosser Leidenschaft diskutieren sie ueber Programmiersprachen, deren
Compiler sie sammeln und auswendig wissen, wie schnell diese uebersetzen,
aber man kann davon ausgehen, dass sie keine einzige all dieser Sprachen
wirklich beherrschen (wenn doch, handelt es sich gewiss um Basic oder
Fortran), ausgenommen natuerlich die Assemblersprache ihres Prozessors - sie
gruppieren sich meistens um Prozessoren. (So viele Begriffe, also: Compiler
sind Programme, die Programmiersprachen in andere Programmiersprachen ueber-
setzen, was ungeheuer nuetzlich ist, vor allem weil man ja auch die Compiler
in irgendeiner Sprache schreiben muss - aber das ist vielleicht zu hoch. Mit
Assemblern (die auch uebersetzen) macht man Programme fuer den Menschen unle-
serlich, woraus die Computerfreaks eine ausgedehnte Freizeitbeschaeftigung
schoepfen. Sie versuchen vor allem, die Programme aus der Maschinensprache
wieder zurueckzuuebersetzen, um bequemer zu sehen, wie miserabel sie ge-
schrieben sind und sie anschliessend grundlegend zu verbessern (manchmal tun
sie das auch, ohne die Programme vorher rueckzuuebersetzen, sie denken also
direkt in der Logik der Maschine, was grosse Askese erfordert, von ihnen
aber lustvoll empfunden wird.) Prozessor ist, was eigentlich die ganze
Arbeit tut, falls der Computer doch einmal funktionieren sollte.)
IHRE SPRACHEN
Bei den Programmiersprachen gibt es Modestroeme, die ungefaehr mit den
Jahreszeiten wechseln. Man bevorzugt Esoterisches wie "C", "Lisp" bzw.
handfestes wie "Fortran" oder "Cobol", aber eigentlich gibt es fuer jede
Sprache (PL/1, Forth) jemanden, der alles Uebrige als Quatsch abtut. Uebri-
gens gibt es innerhalb einer Programmiersprache mehr Dialekte als zwischen
Nuernberg und dem Kongo, daran kann man die kulturelle Vielfalt dieser Seite
ablesen. Bisweilen kommt es vor, dass sie ueber geheimnisvolle Dinge in home-
risches Gelaechter ausbrechen (nicht mitlachen, ist ein Zeichen mangelnder
Intelligenz), zum Beispiel ueber einige Assembler-statements oder die Schal-
tung eines Datenseparators - ihre Zukunft scheint eine neue Art von Komik
zu kreieren. (Hier muss ich passen - Witze kann man nicht erklaeren, auch
keine Computerwitze. Man versteht sie halt oder eben nicht!) So ist ihr
Gebiet alles andere als trocken, es lebt, Systeme und Software, die nicht
laufen wollen, sind eine spannendere Herausforderung als ein Dschungelaben-
teuer. Es waere auch voellig verfehlt, sie als Fachidioten oder einseitige
Tueftler anzusehen - ihre Interessen scheinen so vielfaeltig, ihre Vorlieben
so unterschiedlich wie die Sitten verschiedener Voelker.
ORDNUNG: CHAOS MIT SYSTEM
Haeufig haben sie auch sonst einen ausgefallen gehobenen Geschmack, was
Kunst, Musik und Literatur betrifft. Eine Neigung zum Surrealismus oder
Kubismus (vor allem bei den Gehaeusen) ist nicht selten, dagegen findet man
kaum Gartenzwerge. Auffaellig ist die in hoeherem Sinne bestehende Aehnlich-
keit ihrer Wohnungen und Zimmer. Diese sind niemals unpersoenlich wie bei
Technokraten oder Angestellten. Manche sammeln Antiquitaeten, zum Beispiel
Volksempfaenger oder Kernspeicher. Im Umfeld findet man Laserfreaks. Natuer-
lich herrscht im engeren Feld die Technik vor. Man sieht in jedem Fall
einen oder mehrere Bildschirme (evtl. auch alte Fernseher), diverse Tasta-
turen, vorzugsweise stecken irgendwo Platinen. Je nach Temperament ist
alles drahtige hinter Frontpanels verborgen oder es schlingen sich lianen-
gleich Kabelpipelines durch das ganze Zimmer. Die Regale an den Waenden
reichen grundsaetzlich nicht aus, um Ordner mit Disketten und Handbuecher zu
fassen; auf dem Tisch und am Boden sieht man weitere Stapel, dazu Platinen
(mit oder ohne Loetkolben, haeufig offenbar nur teilweise besetzt, Vorraete an
Disketten und Papier, Oszilloskope und, daran kann man sie eindeutig von
Radiobastlern und Amateurfunkern unterscheiden: Drucker, Irgendwelche
geoeffneten, demontierten oder aber im Aufbau (oder in beiden Stadien
gleichzeitig) befindliche Geraete sind angezeigt. In extremen Faellen gleicht
das Gelaende einem Bundeswehruebungsplatz im Endstadium. Dazu ergeben mehrere
Monatschichten Zeitschriften, Buecher, Unterhosen, Schraubenzieher, Bohrma-
schinen, Gehaeusebauteile, McDonald's-Tueten und Geraete nicht unter 1000 DM
einen Dschungel, in dem staendig etwas gesucht wird (vorzugsweise banales
Werkzeug wie Schraubenzieher, dessen Verlust die Arbeit stundenlang auf-
haelt).
DAS IST IHR ZIEL
Es ist fuer den Unverstaendigen schwer zu begreifen, woran sie eigentlich
arbeiten. Befragt man sie, so erhaelt man uebrigens detaillierte und gedul-
dige Auskunft darueber, dass sie an etwas arbeiten, was die unabdingbare
Voraussetzung fuer ein weiteres Vorhaben ist, das vielleicht seinerseits nur
Mittel zum Zweck ist. Nie findet man sie mit etwas Endgueltigem, es scheint
die Essenz ihres Strebens zu sein, dass sich alles im Fluss befindet. Viel-
leicht hat ihr Hobby eigentlich keinen Zweck und ist somit das edelste
ueberhaupt; sie arbeiten unermuedlich fuer etwas, das sie nie erreichen, dem
sie nicht einmal nahekommen, ein Zustand endloser Glueckseligkeit!
Ihr Wissen ist immens, sie beherrschen unzaehlige Kniffe, deren Sinn
einem Uneingeweihten verschlossen bleibt, vor allem aber aendern und verbes-
sern sie Betriebssysteme und Geraete. (Betriebssysteme sind das, worueber
sich Laien am Computer am meisten aergern, weil es sie hindert, zu errei-
chen, was sie eigentlich wollten, als sie sich an den Computer setzten.)
Staendig kaempfen sie gegen die mangelnde Perfektion, die sie doch nie errei-
chen. Scheinbare Perfektion vertuscht den Umstand, dass alles in der Compu-
terwelt unvollkommen ist. Was dem Bundeskanzler an seiner Stromrechnung als
boeser Auswuchs moderner Computerei erscheint, ist ja nur die Unfaehigkeit
beamteter Programmierer - aber leider versteht die Oeffentlichkeit nicht,
dass der Computer nur Werkzeug ist, dem wir nur nicht gewachsen sind, weil
wir nicht praezise genug denken koennen, um ihn anzuweisen. Die Unzuverlaes-
sigkeit und Unerfreulichkeit von Systemen ist indes schier unfasslich. Es
ist ueberhaupt kein Problem, in einer Zehntelsekunde durch einen unbedachten
Tastendruck das Werk von Stunden, Tagen, Wochen oder gar Monaten zunichte
zu machen. Es erstaunt, dass oft Computer und Programme fuer teures Geld ver-
kauft werden, die niemals vollstaendig funktionieren. Immer gibt es Spezi-
fikationen, die unerfuellt bleiben, die Anzahl nichterfuellter Eigenschaften
ist groesser als das menschliche Vorstellungsvermoegen. Man fragt sich, was
geschaehe, waere all das vollkommen. Vielleicht darf dieser Zustand einfach
nicht eintreten, weil es dann nichts mehr zu gruebeln gaebe...
Zur Hauptseite
Zur Witze-Übersicht